Die Sagen und Geschichten von den Rauhnächten wurden in meiner Kindheit nur noch im Flüsterton erzählt. Als aufgeklärte Kirchgänger durfte man das alles ja gar nicht mehr glauben. Aber im Dunkel des Winters und bei der eisigen Kälte der Nachkriegsjahre in den Stuben, waren die Überlieferungen der Alten greifbarer den je zuvor. Woran ich mich von damals noch erinnere, möchte ich niederschreiben, denn heute erkenne ich in jedem Bild lange überlieferte Weisheiten.
21. Dezember – Thomasnacht
Vielleicht setzt sich auch heute noch manches Mädchen in der Hoffnung vom „Richtigen“ zu träumen vor dem Schlafengehen nackt auf den Rand ihres Betts und betet:
„Heiliger Thomas hilf,
zeig mit in der Nacht,
was für mich die Zukunft macht!“
Überhaupt TRÄUME – haben wir dafür heute noch Zeit? Wer erinnert sich schon noch morgens, wenn der Wecker scheinbar mitten in der Nacht klingelt daran, ob und vor allem was er geträumt hat? Vielleicht bietet die Zeit zwischen den Jahren eine gute Gelegenheit auszuschlafen, die letzten Traumbilder festzuhalten und in den Tag mit hinüberzunehmen.
24. Dezember – Heiliger Abend
Der Vorabend von Weihnachten hatte früher nicht so viel Bedeutung wie heute. Erst die Christmette zwischen Mitternacht und dem frühen Morgen des ersten Weihnachtstags eröffnete mit dem Singen des Stundengebets das Weihnachtsfest.
Sozusagen der Auftakt zu den zwölf Rauhnächten zwischen Weihnachten und Heilig Drei König.
Auch wenn manche Esoteriker das anders halten, zu den Rauhnächten gehört der Heilige Abend deshalb nicht.
25. Dezember – Erster Weihnachtsfeiertag
Zwischen Weihnachten und Heilig Drei König saust die Wilde Jagd mit Odin auf seinem achtbeinigen Ross und Frau Perchta mit ihrem riesigen Uhu, ihr wildes Gefolge mit Heulen und Brausen, Ächzen und Stöhnen über den Himmel und verbreiten Angst und Schrecken. Ab jetzt durfte die Wäsche auf gar keinen Fall zum Trocknen draußen aufgehängt werden, damit sich die Wilde Jagd nicht in den Wäscheleinen verfangen konnte und Haus und Hof mit in die Lüfte riss. In der ersten Rauhnacht sollten Räucherwerk aus Wacholder und magische Zeichen am Türstock die Dämonen vertreiben und die brennende Kerze, die wir heute noch ins Fenster stellen, den guten Geistern den Weg weisen.
26. Dezember – Zweiter Weihnachtsfeiertag
Angeblich wird das in der Weihnachtsnacht Gesehene wahr, weshalb früher auch Schälchen mit Obst und Nüssen für die Geister der Verstorbenen aufgestellt wurden, um sie gnädig zu stimmen.
In der Zeit zwischen den Jahren glaubte man (die zwölf Rauhnächte füllen die Zeit zwischen dem Mond- und dem Sonnenjahr und fallen deshalb sozusagen aus der Zeit), dass jetzt – wo Naturgesetze und christliche Ordnung aussetzen – das Tor zur Anderswelt weit offensteht und die Verbindung zu den Ahnen besonders leicht hergestellt werden kann.
27. Dezember – Öffnen der Herzen
Die dritte Rauhnacht hat eine besondere Bedeutung. Kirchenvater Augustinus bezeichnete die DREI als Zahl der Seele, die in dieser Nacht besonders empfänglich sein sollte, wenn man sein Herz dafür öffnet.
Wie Jeanne Ruland in ihrem Buch „Geheimnis der Rauhnächte“ dichtete:
Von langer Hand vorbereitet sind die Schicksalsweichen.
Nimm an, was du erfährst in diesen raunenden Nächten,
hör zu, sei da, lausche dem Wind,
dem himmlischen Kind,
das neue Kunde für dich bringt.
Möge das neue Jahr
viel Segen für dich bringen
und du nicht mit alten Kräften ringen.
28. Dezember – Auflösung von Irrtum
Das Alte, das versucht das Kommende zu vernichten – ist schon in der Sage vom Kindermord zu Bethlehem überliefert: Herodes will den neuen König der Juden töten und scheitert letztlich.
In der Tradition steht die 4. Rauhnacht deshalb für den Brauch loszulassen, Irrtümer der Vergangenheit jetzt zu korrigieren und damit den Weg für eine glücklichere Zukunft freizumachen. Aber auch für das physische Entrümpeln von Haus und Hof, um Platz zu machen für Neues.
Wer kann das nicht brauchen und ist jetzt nicht die beste Gelegenheit dazu?
29. Dezember – Freundschaft
Die Rauhnächte fordern uns auf, in uns zu gehen, sich mit sich selbst zu beschäftigen, aber auch mit unseren Wegbegleitern. Ob Verwandte, Freunde oder Bekannte, Mitarbeiter oder Partner, Kinder oder Kindeskinder.
Nur wer in sich selbst ruht, hat die Gelassenheit, Freundschaften zu pflegen und sich für Andere zu öffnen. Da gehört auch dazu, sich zu sortieren, den Einen mehr Zuneigung entgegen zu bringen und sie Freundschaft spüren zu lassen, aber auch Andere zu meiden oder sich von ihnen zu trennen.
30. Dezember – Bereinigung
Dienten die letzten beiden Nächte der geistigen Vorbereitung für das Loslassen, ist jetzt die letzte Nacht im alten Jahr, in der man die Vorsätze realisieren kann.
Ein guter Zeitpunkt, alte Rechnungen zu begleichen und Probleme mit anderen Menschen zu bereinigen. Wenn das nicht gelingt, ist es an der Zeit loszulassen: Spaziergänge in der Natur, Urlaub in einem Wellnesstempel oder ein Gang in die Sauna reinigen den Geist, aktivieren den Körper und bereiten uns darauf vor, aufnahmefähig für Neues zu sein.
Betrachtet man die Schwerpunkte der Rauhnächte des alten Jahres mit etwas Abstand,
könnten sie der Agenda eines Selbstfindungsseminares entstammen,
das uns von spirituellen Belastungen befreien will.
Das ist kein Zufall – wir sollten das Angebot annehmen!
Im nächsten Beitrag erzähle ich von den sechs Rauhnächten des neuen Jahres,
die eine andere Zielrichtung aufweisen – lassen sie sich überraschen.