- Arequipa, das weiße Rom Südamerikas
- Kondor über’m Colca Canyon
- Cusco, das Zentrum der Welt
- Machu Picchu – Tempel im Nebelwald
Die Heilige Stadt der Inka – Machu Picchu, lange Zeit versteckt im peruanischen Nebelwald hoch über dem Tal des Urubamba, wurde erst vor etwa hundert Jahren von Hiram Bingham ausgegraben und dem Dschungel entrissen, auch wenn es schon viele Jahrzehnte vorher entdeckt wurde. Viele Legenden und Mythen ranken sich um die geheimnisvolle Stätte, wenn auch die von Manco, dem letzten Inka, für mich die spannendste ist:
Der uralte Pfad der Inka
Zu seiner Linken fällt der Fels fast senkrecht in das tief eingeschnittene Tal des Rio Vilcanota, der sich in vielen Schleifen nordwärts schlängelt, die Anden hinter sich lassend, dem Amazonas entgegen. Zu seiner Rechten steigt die Granitwand des Machu Picchu, dem alten Berg der Inkas senkrecht in schwindelerregende Höhen, in denen nur noch der Kondor kreist, stets auf der Suche nach einem abgestürzten Alpaka oder anderem Aas.
Vor ihm endete plötzlich das Pflaster des uralten Inkapfads, um einem kleinen Wasserfall Platz zu machen, der mit leisem Rauschen in die Tiefe stürzte. Ein paar Schritte weiter hatten die Ahnen die Stützmauer des Pfads wieder an den Fels gelehnt, die Lücke im Pfad mit drei Bohlen aus Holz geschlossen, über die Manco jetzt vorsichtig balancierte, um nicht auszurutschen.
Sein Vater, der elfte Inka Wayna Qhapaq war krank und keiner der Priester in Cusco konnte ihm bisher helfen. Deshalb hatte ihn seine Mutter, eine der Sonnenjungfrauen des Inka, vor fünf Tagen ausgesandt bei den Heilkundigen in Machu Picchu Rat und Medizin zu holen. Manco hatte immer wieder in einer der Relaisstationen gerastet, war dort auch verpflegt worden und mit Hinweisen für den rechten Weg zur nächsten Station weiter gesandt worden, da er nie zuvor den geheimen Pfad zu der von seinem Urgroßvater Pacha Cutec gegründeten Stadt in den Bergen gelaufen war.
Geschafft! Der Wasserfall hatte ihn zwar nassgespritzt, aber er war nicht ausgerutscht und hatte den festen Pfad auf der anderen Seite der Brücke sicher erreicht. Von dort führte der Weg immer wieder um Felsnasen herum, war aber auf der Talseite durch ein kleines Mäuerchen begrenzt, das ihm ein sicheres Gefühl gab. Rechts wuchsen immer mehr Blumen und Orchideen zwischen den Büschen und der Weg verlief im Tunnel dichter Bäume zwischen kleinen Felsen bergab, bis sich auf einmal die Geheimnis umwitterten Häuser, Terrassen und Tempel von Machu Picchu auf einem Bergrücken vor ihm ausbreiteten.
Empfang in der Tempelstadt
Gegenüber war der Wayna Picchu noch in Wolken gehüllt und die Nebelschwaden waberten um seine steilen Flanken wie das Nachthemd von Mancos Großmutter. Aber direkt vor ihm erstrahlte der große Festplatz der Stadt im frischen Grün eines Frühlingsmorgens, als ob er das Nahen wärmerer Tage ankündigen wollte.
Auf der Baustelle des neuen Tempels am linken Rand herrschte schon eifriges Treiben und er hörte die Hämmer der Steinmetze, welche die Quader passgenau zurichteten, laut über die Terrassenfelder hin schallen.
Plötzlich ertönte das Schneckenhorn des Wächters vom Unterstand am Hauptweg, der den Ankömmling entdeckt hatte und ihm durch Winken zu verstehen gab, zu ihm zu kommen. Argwöhnisch beäugte ihn der Alte und wollte eindringlich wissen woher er kam, was er hier wollte, vor allem aber, warum er nicht den Hauptweg über das Sonnentor, sondern den geheimen Pfad über die Brücke am Wasserfall gekommen sei?
Als Manco ihm antwortete, dass er in wichtiger Mission direkt aus Cusco kam und dringend den Hohepriester sprechen müsste, wurde das Gesicht des Alten immer finsterer. Dieser halbwüchsige Junge wollte ohne Begleitung den ganzen Pfad von Cusco nach Machu Picchu gelaufen sein? Er rief zwei der Arbeiter vom Feld und befahl ihnen, Manco zum Tempel zu bringen, während er einen dritten eiligst auf kürzestem Weg zu den Priestern sandte, um über den Ankömmling zu berichten.
Manco staunte nicht schlecht, als er von den zwei Bauern begleitet über die kleine Brücke vor das schmale Haupttor trat und erkannte, dass ein Graben und eine Mauer die Stadt von den Terrassen trennte und damit Schutz vor unerwünschten Eindringligen bot. Das scheinbar unverschlossene Tor hatte auf der Innenseite eine Klappe aus Agaven-Blütenstangen, mit der man das Tor in Sekundenschnelle blockieren konnte.
Ein paar Schritte weiter zeigten die Bauern hinunter auf die goldglänzende Mauerkrone des Sonnentempels und erklärten ihm, das in Haus daneben der Inka mit seiner Begleitung wohnt, wenn er in der Stadt weilt. Dann ist auch der Zugang durch das Haupttor verschlossen.
Der Tempel hatte kein Dach, um die Sonne ungehindert einzulassen und den in seiner Mitte liegenden Fels zu beleuchten. Was die Rundungen und Vertiefungen auf dem Fels wohl zu bedeuten hatten, auf denen die Schatten des Sonnenlichts eigenartige Muster warfen?
An der Treppe mit den Brunnen vorbei eilten sie über steile Stufen auf den Heiligen Platz zu, an dem das Haus des Hohepriesters dem neuen Tempel gegenüber lag. Die Rückwand des Tempels mit den sieben Nischen war aus großem, glatt poliertem Granit erbaut und strahlte eine würdige Ruhe aus. Der Tempel war zum Platz hin ebenso offen, wie das Haus des Priesters gegenüber, der Manco vor einem glimmenden Rauchfeuer erwartete. Das Schneckenhorn des Wächters hatte ihm die Ankunft eines wichtigen Boten bereits gemeldet.
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Das Observatorium und der Sonnenstein Intihuatana
Am nächsten Morgen, kurz vor Sonnenaufgang wurde Manco von einem Diener geweckt und die Treppe hinter dem Heiligen Platz zur Spitze des großen Felsens hinaufgeführt. Dort war, umgeben von zwei niederen Gebäuden, der Intihuatana, der Stein an dem die Sonne festgebunden wird, aus dem massiven Gestein des Felsmassivs herausgehauen, so dass sich die Schatten der Sonne mit Mutter Erde, der Pacha Mama vereinten.
Hier oben wartete der Hohepriester bereits auf Manco und die aufgehende Sonne. Kurze Zeit später leuchteten die ersten Morgenstrahlen der Sonne hinter einem der vielen Andengipfel im Osten hervor und der aufrecht stehende, viereckige Quader in der Mitte des Stein warf einen langen Schatten auf den Tisch. Der Priester verbrannte ein paar wohlriechende Kräuter auf der unteren Stufe des Altarsteins und bedankte sich bei Inti, dem Sonnengott, für den Schatten, aus dem er ablas, dass die Tag- und Nachtgleiche nicht mehr fern sei. Die dunkle Zeit des Winters würde bald vom Licht besiegt und damit würde auch die Zeit zur Genesung des Inka nahen.
Der Hohepriester weihte den Sohn des Inka in die Geheimnisse des Sonnensteins ein:
„Mit der aufsteigenden Sonne wird der Schatten des Zeigersteins auf dem Altar immer kürzer, bis er um die Mittagszeit zur Tag und Nachtgleiche ganz verschwindet, weil die Sonne an diesem Tag so senkrecht über dem Quader steht, dass alle vier Seiten vor ihr gleichzeitig beleuchtet werden und er deshalb keinen Schatten wirft.“
Der Stein ist deshalb auch nach Norden, der Sonne entgegen geneigt und seine vier Ecken zeigen genau in alle vier Himmelsrichtungen: „Wenn alle Schatten verschwinden, hat Inti der Sonnengott mit all seiner strahlenden Herrlichkeit vom Intihuatana Besitz genommen!“
Mit diesen Worten überreichte er Manco ein kleines Bündel mit Heilkräutern, das er dem Inka morgen nach Cusco bringen sollte, damit er vom heiligen Rauch trank, um gesund zu werden.
Der Fels der Berggeister
An den Tieren vorbei führte der Weg auf den Wayna Picchu zu, auf dessen Spitze gerade noch das Haus des Talwächters und ein paar Terrassen im dunklen Grün des Dschungels auszumachen waren. Auf einem kleinen Platz zwischen zwei Versammlungshäusern endete der Weg vor der senkrechten Wand eines mächtigen Felsens. Hinter dem zackigen Rand dieses Altarsteins zeichneten die Berggipfel der Kordilleren ein fast identisches Profil in den Wolken verhangenen Himmel. Es schien, als ob der Altarstein ein getreues Abbild der Bergkette sei.
Der Priester bat ihn niederzuknien und rief die Götter der Berge herbei, um bei ihnen um Schutz und Geleit für den jungen Inka auf seinem gefährlichen Weg zurück nach Cusco zu bitten. Wie ein Echo seines Gebets hörten sie das dumpfe Grollen eines Nachmittagsgewitters, das sich hinter den Bergspitzen aus den Tiefen des Amazonasbecksens aufmachte, die Gipfel der Anden einzuhüllen.
Der Priester sah darin ein gutes Zeichen, dass ihre Gebete erhört wurden und nahm Manco an der Hand, um ihn an einer hohen Mauer entlang in den Teil der Siedlung zu führen, in dem die Sonnenjungfern ihr Quartier hatten. Dort, in deren Obhut sollte er sich heute ausruhen und die Nacht verbringen.
Der Tempel des Kondor
Auf dem Boden des Tempels war der Fels des Untergrunds mit dem Kopf des Kondors modelliert worden und ein halbrunder, weißer Stein symbolisierte die weiße Halskrause des mächtigen Geiervogels. Kniete man vor dem Relief am Boden nieder, erhoben sich die Felsen im Hintergrund des Tempels wie die mächtigen Schwingen des Kondors, der sie in der Sonne ausbreitet, um sie vom Tau der Nacht zu trocknen. Im Dämmerlicht des frühen Morgens glaubte Manco graue Gestalten zwischen den Flügeln des Kondor in den Nischen der Tempelmauern hocken zu sehen. Irgendwie jagden ihm diese regungslos dasitzenden Schatten kalte Schauer den Rücken hinab. Der Hohepriester tröstete ihn, zeigte auf die grauen Bündel und erklärte ihm, dass dies die Mumien seiner Ahnen seien, die hier versammelt wurden, um vom Kondor zu den Göttern getragen zu werden. Nur an besonderen Festtagen wurden sie in der Prozession mitgetragen.
„Fürchte dich nicht, siehe sie sind bei dir auf deinem Weg bei Tag und bei Nacht. Sie sind vor dir, um dich auf den rechten Weg zu leiten, sie sind neben dir, um dich zu stützen, wenn du strauchelst und sie sind hinter dir um dich vor Bösem zu schützen!
Mach dich auf nach Cusco, um deinem Vater die Medizin zu bringen, ich bete hier für seine Gesundung. Wenn ich dich das nächste Mal sehen werde, wirst du ein großer Krieger sein und ich ein alter Mann. Die Götter mögen mit dir sein!“
EPILOG:
Atahualpa war im Kampf verwundet worden und lag mit 30.000 Kriegern bei Banos del Inca weitab im Norden um wieder zu gesunden. Dort traf 1533 Pizarro mit seinen Brüdern und einem Söldnerheer ein, lockte Atahualpa mit seiner Leibgarde in einen Hinterhalt und nahm ihn als Geisel.
Noch heute steht in Cajamarca das alte Haus aus der Inkazeit, das so hoch mit Gold und Silber als Lösegeld gefüllt wurde, wie Atahualpa mit seiner Hand reichen konnte. Pizarro ließ ihn jedoch trotzdem zum Tode verurteilen und hinrichten.
Manco Capac wurde am 15. November 1533 von Pizarro als letzter Inka inthronisiert. Als Manco jedoch erkannte, dass er nur eine Marionette der Spanier war, floh er 1536 aus Cusco und wagte mit getreuen Anhängern aus dem Urubambatal den Aufstand gegen die Spanier. Aber das ist eine andere Geschichte.