Schiwandern in Finnland ist Meditation in einer schneeweißen Märchenlandschaft mit Dr. Schiwago Atmosphäre. Wenn dann noch ein warmes Feuer wartet, ist man fast am Ziel aller Sehnsüchte – wenn da nicht noch der Heimweg wäre.
War hier Dr. Schiwago?
Heute Morgen erwachten wir in einer anderen Welt. Tiefblauer Himmel über der Bucht lässt selbst den Schnee auf dem zugefrorenen See blau leuchten. Der Wind hat sich gelegt und ist in einem unschuldigen Säuseln verklungen.
Der Bauer mit drei Knechten
Wir überqueren schier endlos große Moorflächen am Rande des Sees, steigen durch lichten Birkenwald auf zu den ersten Höhen der Endmoränen, welche die letzte Eiszeit hier hinterlassen hat. Am Mäkräaho-Hof sehen wir, dass die Gletscher nicht nur sanfte Hügel aufgeschoben haben, sondern auch Felsbrocken und Wacker in allen Größenordnungen hinterlassen haben.
Hinter dem Hof sind riesige Steinhaufen mit dicken Schneehauben bedeckt im Winterschlaf, dazwischen irgendwie verloren ein eisernes Rüttelgerüst, mit dem im Sommer die Steine sortiert werden. Bei diesem Anblick fällt mir die Geschichte vom Bauern mit den drei Knechten ein, die Topelius 1875 für das Lesebuch der finnischen Volksschulen aufgeschrieben hat:
Ein Bauer hatte drei Knechte. Ivan war Russe, Erik war Schwede und Matti war Finne. Eines Sommermorgens schickte der Bauer seine Diener aus, einen steinigen Hügel als Acker zu roden. Er zeigte einem jeden seinen Abschnitt. Ivan rodete fröhlich singend und war bis Mittag fertig. Erik rodete, mal lachend, mal murrend, und war am Nachmittag fertig, Matti aber sah verdrießlich aus, er grübelte erst einige Zeit und war erst am späten Abend fertig.
Als sie ihre Arbeit beendet hatten, kam der Bauer, um nachzuschauen. ,,Ivan hat seine Arbeit am schnellsten gemacht“ sagte er, aber er hat die Steine liegenlassen. Erik hat die kleinen Steine weggeräumt, aber die großen liegen lassen. Matti hat die großen Steine weggeräumt, aber die kleinen liegen lassen. Jeder von euch hat seinen Vorzug und seinen Fehler.
Das nächste Mal lasse ich Ivan das Feld eggen, Erik die Wiese entwässern und Matti Steine brechen: dafür ist er geschaffen.“ Matti der Finne wurde also Steinbrecher.
Dies hier könnte der Bauer gewesen sein!
LATUKOTA
Nach gut zwei Stunden und etlichem auf und ab durch eine Landschaft, die wie der schneebedeckte Sandspielkasten einer Familie von Riesen aussieht, erreichen wir ziemlich ausgelaugt endlich die Latukota. Wir stellen die Schier an die Wand, öffnen die feste Holztür, die nur mit einem einfachen Holzriegel verschlossen wird und können unser Glück kaum fassen: In der Feuerstelle mitten unter dem pyramidenförmigen Dach schimmert noch ein ansehnliches Häufchen Glut. Zwei Handvol Holzspäne aus der Kiste in der Ecke, ein wenig blasen und schon züngeln die ersten Flammen. Ein paar Birkenholzscheite aufgeschichtet und nach ein paar Minuten breitet sich eine wohlige Wärme an der Feuerstelle aus, die Hütte selbst bleibt frostig kalt.
Wir ziehen unsere verschwitzten Windjacken, den Pullover und das nasse Unterhemd aus und reiben uns trocken. Wir haben wohlweislich trockene Wäsche zum Wechseln eingepackt – das tut gut!
Meine Wolfsmütze liegt im Sonnenlicht und dampft, als ob jemand ein Streichholz in den Pelz geworfen hat, der gleich Feuer fängt. Die nassen Sachen drapieren wir auf die Trockengestelle, rücken die Bänke so nah ans Feuer, dass wir unsere Haare unter der Haube des Rauchabzugs trocknen können.
Langsam erholen wir uns von den Anstrengungen der letzten Kilometer und mit dem heißen Tee aus der Thermoskanne kommt auch der Appetit. Also die dunklen Roggenbrötchen ausgepackt, die Grilliwursti auf den schwenkbaren Rost über das Feuer bis es brutzelt, spratzelt, zischt und nach Bratwurst duftet. Das schmeckt unvergleichlich gut!
Die Hütte ist ein beliebtes Ziel für Schiwanderer und der freiwillige Obolus im Opferstock an der Tür ist wenig im Vergleich zur Liebe und Aufmerksamkeit, mit der sie unsichtbare Geister ausgestattet haben. Da gibt es Wasserkessel, in denen man Schnee schmelzen kann, um Suppe zu kochen; hinten hängen abgelegte Anoraks, die frierenden Langläufern Wärme geben, bis das Feuer brennt und noch nie haben wir dieses Kleinod in Unordnung vorgefunden – möge es noch lange so bleiben!
Der Rückweg beginnt mit einer sanft abfallenden Loipe, die dann auf ein kleines, aber völlig vereistes Sträßchen trifft, um dieses zu queren. Väterchen Frost hat die Loipe mit Eis poliert und es geht schneller als mir lieb ist und so zerlegt es mich an dieser Stelle gründlich.
Meine Finger sind eiskalt, aber was hilft da jammern? Daheim wartet eine heiße Sauna, da ist weiterlaufen angesagt, damit mir bis dahin wieder warm wird.
Der Himmel verwandelt sich im Abendrot in ein Flammenmeer und noch immer singen die Wälder!