Panagia, die historische Altstadt von Kavala, rings um die von den Osmanen befestigte Akropolis, lag innerhalb der antiken Stadtmauern des von Kolonisten aus Thassos gegründeten Neapolis. Sie ist heute die schönste Stadt Griechenlands, die uralte Kultur mit modernem Leben und urbanes Erleben mit erholsamem Strandleben perfekt zu kombinieren weiß!
Kaffee Frappé obligatorisch
Gestern sind wir noch durch die Ruinen des antiken Philippi gepilgert, das ich bis dato in Kleinasien und nicht in Griechenland verortet hatte. Die Bibel ist eben kein Reiseführer. Jetzt sitzen wir am Hafen von Kavala mitten im alten und neuen Zentrum der Großstadt im Café Nikophoros und studieren den Reiseführer bei Nespresso Frappé, um herauszufinden, wo wir am besten beginnen und was uns alles erwartet.
Die erste Überraschung gleich um die Ecke an der Agios Nikolaos Kirche ist das erst vor wenigen Jahren fertiggestellte Monument des Apostel Paulus, an dem ein farbenprächtiges Mosaik im byzantinischen Stil den Abschnitt aus der Apostelgeschichte bildlich darstellt, bei dem Paulus den Auftrag erhält, Kleinasien zu verlassen und in Makedonien zu missionieren (im Archiv: „Die paulinische Mission in Makedonien“).
Kavala, als antikes Neapolis eine Kolonie der nahen Insel Thassos, war der Hafen, in dem die Apostel an Land gingen und sich auf den Weg machten, die jüdische Gemeinde in Philippi aufzusuchen, um zu predigen.
Wir machen uns auf, um die Altstadt auf dem Festungsberg zu erobern, die zwar bereits in byzantinischer Zeit erbaut, aber von normannischen Wikingern gebrandschatzt, von Venedig als Relaisstation für den Wechsel der Pferde zwischen Istanbul und Thessaloniki auf der alten römischen Via Egnatia befestigt und schließlich 1380 vom Osmanischen Reich erobert wurde.
Als wir die schmale Odos Poulidou hochgehen, ist der osmanische Einfluss an jeder Ecke zu sehen und zu riechen. Es ist kurz vor der Mittagszeit und aus vielen Fenstern duften seltsame Gewürze und köstlicher Bratenduft zieht durch die Gassen. Die Andenkenläden bieten kunsthandwerklichen Schnickschnack, aber keinen Plastikkrempel aus Fernost feil.
Das Imaret von des Ali Pascha!
Auf halber Höhe fällt mir an einer hohen Mauer ein Tor auf, über dem ein langer Text in arabischer Schrift meine Neugier weckt. Ein Blick durch die Glastüre auf einen Innenhof mit Blumen, Orangenbäumen und Pool lässt keinen Zweifel: Hier ist das berühmte Luxushotel IMARET – ein Widerspruch in sich, denn Imaret bedeutete im osmanischen Reich so etwas wie eine öffentliche Suppenküche für Bedürftige, oft mit einem angegliederten Armenhaus.
Dieses hier in Kavala hat der wohl berühmteste Sohn der Stadt Muhammed Ali Pascha 1817 gestiftet, zehn Jahre nachdem er zum osmanischen Statthalter in Ägypten ernannt worden war und ihn der Sultan wenig später für seine Verdienste mit der Insel Thassos belehnte, wo er die Verwaltung nach ägyptischem Vorbild reformierte.
Getreu der islamischen Tradition als gläubiger Muslim auch für die Armen zu sorgen, hat er seiner Heimatstadt zusammen mit dem Imaret auch eine Koranschule und ein Waisenhaus gestiftet, die heute alle zusammen das Hotel bilden.
An einer Glastür etwa dreißig Meter rechts vom Hoteleingang entdecke ich ein Schild mit „Guided Tour in progress, back in 20 minutes“! Also kann man das Imaret doch besichtigen!
Unsere Geduld zahlt sich aus. Ein junger Mann vom Hotel kassiert fünf Euro pro Nase und macht für uns beide eine Führung und erzählt:
„Muhammed Ali stiftete dieses Anwesen, mit dem Ziel für Waisenkinder der Stadt und der Insel Thassos eine Koranschule zu schaffen, in der sie lesen und schreiben lernen und später neben dem Koran auch in naturwissenschaftlichen Fächern unterrichtet werden sollten. Damit der Lebensunterhalt der bis zu 600 Schüler gesichert war und sie nicht betteln gingen, wurden sie bekocht und wohnten auch im Imaret.
In der Küche sind heute zwei luxuriöse Suiten untergebracht, wo man für 800.-€ pro Nacht dem Geist Ali Paschas nachfühlen und die fantastische Aussicht auf das moderne Kavala von der privaten Terrasse aus genießen kann.
Besichtigen kann man auch den Orangenhain, irdisches Abbild des himmlischen Paradieses im nördlichen Innenhof und die Vorratskeller mit den riesigen, tönernen Amphoren, die wie im antiken Stageira in den kühlen Boden eingelassen sind.
Über Bogengänge führt der Weg zur großen Halle, dem zentralen Kuppelraum, in dem die Vorlesungen für die älteren Kinder stattfanden und der auch als Moschee diente. In Wandnischen sind noch heute mehr als zweihundert Jahre alte Schulbücher genauso aufbewahrt, wie die Kontoblätter der Buchhaltung für das Imaret.
Der Blick von der Dachterrasse in den Innenhof mit Pool und Waschbrunnen und über die mit Blei gedeckten alten Kuppeldächer auf das moderne Kavala vermittelt die Vision des Stifters: Bildung und Wissen sind die Grundlage für eine prosperierende Gesellschaft, Kultur und Moral die Voraussetzung für ihr Wohlergehen!
Panagia, die Altstadt von Kavala
Weiter auf der Poulidou nach Süden, kurz vor dem Leuchtturm Faros Kavala, ist links die orthodoxe Kirche Ekklesia Kimisi Theotokou, die ein wunderbares Beispiel für eine lebendige Stadtkirche ist, die von der Gemeinde als Gotteshaus gepflegt wird und nicht zum Museum degradiert wurde.
Ein alter, immer noch sehr großer Mann geht aufrecht am Stock vor uns her und wundert sich, dass wir ihm die Tür aufhalten und mit Kalimera begrüßen: „Kommen Sie aus Deutschland? Guten Tag“! Offensichtlich werden derartige Höflichkeiten hier mit Deutschen assoziiert – auch nicht schlecht!
„Ich war von 1961 bis 64 in Deutschland arbeiten, aber es ist alles ein wenig eingerostet“ fährt er lächelnd fort und beginnt seinen Rundgang durch die Kirche, bei dem er sich vor jeder der ausgestellten Ikonen bekreuzigt und dann das Bild küsst. Wir sitzen still in einer der Reihen und lassen die Geborgenheit auf uns wirken.
Zwölf Uhr, die Kirche wird geschlossen und wir stehen auf dem Platz vor der imposanten Reiterstatue von Muhammed Ali Pascha, der seinen Säbel wieder einsteckt, um zu zeigen, dass die Schlacht gegen die Franzosen, die Ägypten besetzt hielten, siegreich beendet wurde.
Das Haus Muhammed Ali Paschas
Gegenüber der Kirche ist sein Geburtshaus, in dem sein Vater, ein reicher Kaufmann, mir seinen Frauen im 18. Jhdt. lebte und in dem Muhammed aufwuchs. Im Erdgeschoss, das aus Stein gemauert ist, befinden sich die Wirtschaftsräume und das Arbeitszimmer des Kaufmanns sowie eine Terrasse mit herrlichem Blick zum Meer, auf der auch ein Brunnen steht, der stets für frisches Wasser sorgte (der einzige private außerhalb der Akropolis).
Eine Holztreppe führt zum Empfangsraum im ersten Stock, der am Ende einer Galerie liegt, von der Türen zu den Zimmern des Harems und dem Hamam abgehen, die für Fremde tabu waren. Das dunkle Holz, die verzierten, durchbrochenen Blenden an den Fenstern – alles strahlt eine heimelige Vertrautheit aus, die vom angenehmen Geruch des Holzes verstärkt wird.
In einem der Räume hängt ein Portrait des etwa 45-jährigen Muhammed Ali Pascha in seinem ägyptischen Palast. Der Maler Le Comte de Forbin schrieb 1819: „Obwohl er keine mörderische Veranlagung zeigt, ist er nichtsdestotrotz gewalttätig und reagiert auf Widerspruch ziemlich übel. Zur Zeit meines Besuchs residierte er in Alexandria, umgeben von einem Hofstaat, der brillant und zahlreich war. Wie bestätigt wurde, besteht sein Harem aus fünfzig Frauen, die er mit wertvollen Geschenken überschüttet. Er empfing mich auf zuvorkommenste Weise, eine Wasserpfeife rauchend“.
Die Akropolis und das Kneipenviertel
Wir verabschieden uns von der freundlichen Dame am Empfang des Museums, die sich über Besuch sichtlich freut, und machen uns auf den Weg zur Akropolis.
Enge Gassen, parkende Autos, Motos die mit heulendem Motor über’s Kopfsteinpflaster brettern, dann links die Treppen zur Burg hoch. Entaxi, die enge Stiege auf den runden Turm packen wir schwitzend (ich fluchend, weil ich mir zum wiederholten Mal den Kopf angerannt habe und trotz Hut Blessuren davontrage), dann genießen wir die fantastische Rundumsicht auf Kavala – es hat sich gelohnt.
Genug der Kultur, jetzt haben wir Hunger und Durst. Wir schlendern unter dem riesigen Aquädukt hindurch, das die Festung mit Wasser aus den Bergen versorgt hat und seit seiner Renovierung wieder wie neu aussieht (aber kein Wasser mehr führt). Schließlich finden wir im „BOSPHOROS“ die griechischste Taverne, in der die Mama kocht und der „englisch“ sprechende Papa bedient.
So köstlich haben wir selten griechisch gespeist: Imam (gefüllte Aubergine) und Pastitsjo (Nudelauflauf) mit Taramas und Salat aus Bulgur, Minze und Petersilie. Der Hammer aber die eingemachten Kirschen mit Honig und Joghurt als Nachtisch!
Die restlichen Stationen der Neustadt geraten zum Pflichtprogramm, wir brauchen ein Taxi zum Camping BATIS und unser Raumschiff Stellina für die Siesta – für alles andere ist’s einfach zu heiß und wir zu müde!

Spetson 17, Kavala 653 02,
Tel. +30 251 083 4617