Die uralte Schildkröte Cu Rua

Vor fast sechshundert Jahren warf der Fischer Le Loi seine Netze in einem kleinen See aus, der über viele Kanäle mit dem roten Fluß verbunden war. Bei Hochwasser treiben immer viele kleine Fische in dieses ruhige Gewässer, wo man sie später leicht fangen konnte, wenn sie sich dick und rund gefressen hatten. Diesmal war sein Netz aber so schwer, dass er es kaum ins Boot ziehen konnte.

Wie er erschrak, als plötzlich ein schrumpeliger Kopf auftauchte und zwei große Augen ihn anstarrten: „Ich bin Cu Rua, die goldene Schildkröte und lebe hier seit vielen hundert Jahren. Siehst Du das Schwert auf meinem Rücken? Nimm es und verteidige dieses Land gegen die Invasoren aus dem Norden.“

Als der Fischer am Abend seine Geschichte den anderen erzählte, brach großer Jubel aus und er wurde zu ihrem Anführer gewählt. Zehn Jahre währte der Krieg von 1418 – 1428 bis Dank des Zauberschwerts der Sieg endgültig errungen wurde. Aus dem Fischer Le Loi war inzwischen längst König Le Thai To geworden, der Gründer der ersten Dynastie vietnamesischer Könige.

Aus Dankbarkeit kehrte der König zum kleinen See Hoan Kiem zurück. Er nahm ein Boot und ruderte mit seinen Getreuen in die Mitte des Sees. Unvermittelt tauchte die Schildkröte vor ihnen aus dem See und forderte das Schwert zurück: „Der singende Drache hat seinen Dienst erfüllt und muss bewahrt werden für künftige Könige!“ Bei diesen Worten flog das Schwert in hohem Bogen aus seiner Scheide und verwandelte sich in einen jadegrünen Drachen, der sich in der Mitte des Sees in die Tiefe stürzte.

Zur ewigen Erinnerung lies Le Thao To auf der kleinen Insel in der Mitte des Sees den Turm Thap Rua errichten, der zum Wahrzeichen Hanois wurde.

Der alte Biologe Prof. Duc von der „Scholl of Natural Sciences“ erzählte uns nicht nur diese Geschichte, sondern erklärte: „Ich glaube, die Schildkröte, die 2011 aus dem See geborgen wurde und seitdem in Pflege lebt, ist dieselbe, die von König Le das Schwert einforderte. Cu Rua ist eine Weichschalen Schildkröte, die 500 bis 700 Jahre alt werden kann!“

Schon möglich, wenn es ihr nicht wie ihrer Schwester ergeht, die zur Zeit der großen Hungersnot 1968, mitten im Vietnamkrieg, von der HaNoi Food Company gefangen wurde. Wäre nicht der Bürgermeister Dr.Hung persönlich eingeschritten, wäre sie im Kochtopf gelandet. Da sie wegen ihrer erlittenen Verletzungen einging, wurde sie ausgestopft und wird heute im Tempel Ngoc Sun ausgestellt.

Die Kanäle, die den See mit dem Fluss verbanden sind längst zuschüttet und der See ist heute viel kleiner wie früher. Aber weil der See den Bewohnern von Hanoi heilig ist, lassen sich die Brautpaare vor der Kulisse des Turms und des Sees fotografieren. Die Parkwächter achten darauf, dass er nicht so dreckig ist, wie die vom Müll erstickten Kanäle ringsum. Etwas Gutes hat die Legende also auch heute noch.