Betrachtet man den Dom und denkt an seine Geschichte, da möchte man sagen: Wenn Steine doch sprechen könnten. Ob man mir das glaubt? Jedenfalls hat mir ein Stein seine Lebensgeschichte erzählt!
Bei klarem Wetter war auch die Sicht frei zu meinem Geburtsort, dem Siebengebirge. Ein besonders schöner Anblick war die Laternenbeleuchtung am Abend, bei der die Menschen lachend und singend durch die Straße zogen und in einem Brauhaus verschwanden.
Ein farbenfrohes Erlebnis war in jedem Jahr der Karneval, wo der Rosenmontagszug sich am Dom vorbei schlängelte . Die bekannten Lieder Àjuja` und der `Der treue Husar´ waren lautstark hier oben zu hören.
Sehr feierlich erlebte ich am Fronleichnamstag die Domprozession. Die hohen Herren des Domes, in Rot und Lila gekleidet, schritten andächtig bei Orgelmusik aus dem Dom und dann durch die Straßen. Weihrauchduft stieg bis hier oben in den Turmbereich. Und wenn dann noch der `Decke Pitter` mit den anderen Glocken läutete, zitterte der ganze Dom, und ich hatte Angst, das Steinteile von meiner Figur abbrechen könnten.
Mir war nicht wohl bei diesem Anblick und es dauerte nicht lange, da färbte sich der Nachthimmel rot und beißender Rauch stieg zu uns herauf. Nach jeder Nacht sah ich die schöne Stadt mit ihren alten Kirchen weiter in Trümmer versinken. Menschen krochen mit ihrem Hab und Gut aus den Kellerlöchern und flüchteten aus der Stadt. Es war furchtbar. Auch der schöne Dom hatte seine Wunden. Tapfere Kölner verhinderten mit einer gemauerten Notstütze am Dom den Einsturz.
Auch an meiner Figur zeigten sich einige Risse und das Gestein drohte zu bröckeln. So war meine Zeit im Jahre 1945 gekommen, ich musste in die tiefgelegene Dombauhütte.
Doch am letzten Tag auf dem Dom sah ich auf dem Trümmerberg einen Kölner, der eine Schar Kinder um sich versammelte und vom alten Köln erzählte. Auf seinem Akkordeon spielte er die alten Lieder und sang “Ach, wat wohr dat fröher schön doch en Colonia“. Das machte mir ein wenig Hoffnung und Trost, als man mich vom Dom runterholte und in die tiefgelegene Dombauhütte legte.
Ein armseliger Platz im Vergleich zu dem Stand oben auf dem Dom. Die Feuchtigkeit ließ das Moos an meiner Figur wachsen, und die neugierigen Besucher oben an der Brüstung ließen manche Bierflasche oder Zigarettenkippe auf meine schöne Figur fallen.
Ein paar Tage später landete ich auf einem Autoanhänger und die Fahrt ging über die Brücke auf die andere Rheinseite. Jetzt konnte ich erstmals meinen geliebten Dom in seiner ganzen Pracht bewundern und sah auch genau die Stelle, von der ich fast 100 Jahre auf das schöne Köln blicken durfte. Zu meiner Traurigkeit wuchs die Angst, wo werde ich jetzt wohl untergebracht? Panik befiehl mich, als ich daran dachte, im Garten zwischen den Tomaten zu stehen oder im Vorgarten zwischen den Gartenzwergen.
Doch man stellte mich ins Wohnzimmer, direkt unter ein Fenster. Nicht schlecht, aber langweilig wird es hier wohl sein, so dachte ich. Auch da hatte ich mich geirrt. Die Hausherrin telefonierte den ganzen Tag mit ihren Freundinnen. Das war hochinteressant, ich erfuhr alles, was für andere Ohren nicht bestimmt war. Vor allem war die Schwiegermutter ein Dauerthema. Und so nebenbei erfuhr ich alles über Köln. Durch das Fenster konnte ich sogar den Dom bei klarem Wetter in der Ferne sehen.
Und so dachte ich bei mir, schlecht hast du es hier ja nicht angetroffen. Es ist warm, kein Regen, kein Frost und kein Schnee.
Hier kannst du steinalt werden.
Geschichte über einen Stein vom Kölner Dom.
Text und Bild von Walter Raab, Köln (Urtext in Kölschem Dialekt)
Hier die ZDF-Doku zum Kölner Dom: