Das Nordkap auf Sylt ist zugleich Deutschlands nördlichste Landspitze, zumindest seit es vor 150 Jahren von Dänemark zu Preußen kam. Unsere Wanderung um diese unter Naturschutz stehende, mit Strandhafer und Schilfgras bewachsene Sandhalbinsel, ist ein absolutes Muss für Natur liebhabende Sylt Besucher.
Um den Königshafen
Vor mehr als 700 Jahren schenkte der dänische König das Lister Land der Stadt Ripen, die daran aber wenig Freude hatte, da auf den Sanddünen außer Heidekraut und Gras nichts wächst. Im Januar des Jahres 1362 ging das sagenumwobene Rungholta während einer Sturmflut unter, die als die „Grote Mandrenke“ in die Geschichte einging. Was im Kirchspiel List die Fluten dabei überstand, wurde wenige Jahrzehnte später bei der „Allerheiligenflut“ dem Erdboden gleichgemacht.
Um hier zu wandern, parken wir bereits vor Beginn der Mautstraße unterhalb von Wonnemeyers „Weststrandhalle“ und gehen am Mauthäuschen vorbei (siehe Wanderkarte unten). Von der Ferne strahlt das rotweiß des östlichen Leuchtturms auf dem Lister Ellenbogen weit über das glatte Wasser des Königshafens, der eher einem Marschsee als dem wilden Nordmeer gleicht. An Salzwiesen und grasenden Schafen wandern wir auf dem Fahrweg vorbei und umgehen das auch bei Ebbe noch Wasser führende Priel inmitten der grünen Ebene.
An diesem sandigen Ende der Lister Bucht war der dänische König nicht nur wegen dem ruhigen Naturhafen interessiert, der damals als Königshafen noch eine ganze Flotte vor Stürmen geschützt aufnehmen konnte, sondern vor allem am Strandgut der in den gefährlichen Strömungen nördlich des Kaps gescheiterten Schiffe. Er siedelte deshalb im 16. Jhdt. Hans Nielsen dort als Strandvogt an, um seinen Anteil an der Beute der Strandpiraten zu sichern, die mit falschen Signalfeuern dem Unglück auf die Sprünge halfen.
Dieser Hof wurde von den Nachkommen in einen Ost- und einen Westhof aufgeteilt, welche noch heute hier stehen und deren Erben gemeinschaftliche Eigentümer des ganzen List-Landes nördlich der „Kampener Vogelkoje“ sind. Da im Naturschutzgebiet der Sanddünen keinerlei wirtschaftliche Nutzung möglich ist, bleibt außer der Zucht von ein paar Schafen auf den Salzwiesen nur die Mautstraße als Einnahmequelle, um am Tourismus zu partizipieren.
Die Robben am Ostkap
Ein schmaler Fahrweg führt durch die Dünen in Richtung östlicher Leuchtturm. Auch wenn die Nachfahren des Landvogts schon mal eine Ladung Schafdung mitten auf den Weg kippen, können sie uns damit die Wanderlust nicht verleiden. Der Müll, der vom Wind von den gebührenpflichtigen Parkplätzen in die Dünen ringsum geweht wird, stört mich da schon weit mehr.
Das letzte Stück des Weges gehen wir unterhalb des Bauernhofes am Strand entlang bis zur Spitze des Ellenbogens, auf dessen hellem Strand sich ein mächtiger Robben-Pascha mit seinem Harem und dem Nachwuchs in den letzten Strahlen der Herbstsonne wärmt.
Wir setzen uns an den Dünenrand, wo der Sand nicht so feucht ist, dass er gleich die Hose tränkt, bewundern den Flug der Möwen, die scheinbar mühelos vom dänischen Römö zu unserer Linken über unsere Köpfe nach Süden segeln, um auf Sylt im Lister Hafen nach Touristen Ausschau zu halten, die unvorsichtig genug sind, ihr Fischbrötchen vom Gosch im Freien zu essen.
Die Flut hat inzwischen ihren Höchststand erreicht und zwingt uns, den Rückweg entlang der Küste des Nordkaps im weichen Sand anzutreten. Der östliche Leuchtturm mit seinem rotweißen Ringelshirt weist uns wieder den Weg. Immer wenn wir von unseren Füßen zu ihm aufblicken, scheint er wieder ein Stückchen weiter in die Ferne gerückt zu sein. Ab und zu zwingt uns eine größere Welle zur schnellen Flucht in den tiefen Sand, wenn der weiße Meeresschaum gierig nach unseren Schuhen leckt. Der Wind hat ein hellblaues Loch in die dunkelgrauen Wolken geblasen und die Sonne lässt den Leuchtturm im hellgrünen Dünengras wie auf einem Kalenderbild aufleuchten.
Vom Nordkap zum Weststrand
Nach einer guten Stunde haben wir den Leuchtturm passiert und fixieren ein neues Ziel am Horizont an. Es sieht wie tibetanische Gebetsfahnen an einem langen Mast aus. Das Meer weicht langsam zurück und wir gehen jetzt leichter auf dem festen, nassen Sand. Die Fahnen erweisen sich als skurriles Kunstwerk aus Strandgut, mit einer kugelrunden, orangfarbenen Fischerboje als Kopf, einer schwarzen Sonnenbrille, allerlei Resten von Netzen, Gummihandschuhen und Plastik in allen Farben und Formen, kunstvoll zu einer imposanten Müll-Madonna drapiert. Dahinter die Stange mit T-Shirts, Badehosen und Stoffresten als Gebetsfahnen – das alles ergibt ein mahnendes Ensemble.
Ein Stück weiter spitzt der westliche Leuchtturm über die Dünen, wird aber vom Ausleger eine Baukrans überragt, der ihm mit seinen am Hubseil flatternden Fahnen irgendwie die Schau stiehlt. Unmittelbar hinter dem Leuchtturm wurde ein neues Ferienhaus anstelle des alten Westhofes erbaut, auf dem nur noch das Schilfdach fehlt.
Wir umrunden das nordwestliche Kap, balancieren am oberen Rand der tiefschwarzen Basaltquader, die mit ihrer sechseckigen Form an den Giants Causeway in Nordirland erinnern. Dann führt der Pfad hinunter zum Weststrand und wir wandern jetzt auf dem festen Sand, den die Ebbe bereits freigegeben hat.
Tief unten im Süden unser lang ersehntes Ziel, der Ellenbogenberg und die Holztreppe über die Düne zur „Weststrandhalle“. Nach fast vier Stunden Strandwanderung, teilweise über sumpfige Schafwiesen und durch tiefen Sand, von Sonne verwöhnt und von herrlichen Regenbogen nach dicken Regentropfen versöhnt, schleppen wir uns die Holzstufen hoch und sinken bei „Wonnemeyer“ auf die Eckbank am Fenster. Ein halber Hummer auf Tagliatelle mit einem Viertel Würzburger Randersacker ist die wohlverdiente Belohnung!