Der Wettergott ist dem Chiemgau gnädig: Weiß-blau strahlt der Himmel über diesem herrlichen Stück Bayern. Die ersten Segelboote gleiten lautlos über den wellenlosen Chiemsee und in Gstadt ist der Steg bei den Ausflugsdampfern noch wie leer gefegt. Ideal für einen Ausflug auf die Inseln im bayerischen Meer.
Herrenchiemsee
Mit dem Ausflugsdampfer fahren wir von Gstadt am Chiemsee zur Herreninsel und schlendern durch die unendliche Vielfalt des Grüns eines uralten Waldes zum unvollendeten Prunkschloss Ludwig II. von Bayern.
Im hellen, strahlenden Licht der Mittagssonne glitzern die Wassertropfen der Fontänen in den riesigen Brunnen wie tausend Sterne. Die Allegorien der mächtigen Bronzefiguren spiegeln das ganze Kabinett der antiken Götterwelt wieder. Da reitet Fama, die Göttin des Ruhms auf Pegasus ganz oben auf der Spitze des Brunnens mit stürzenden Gestalten, die Krieg und Hass, Neid und Missgunst darstellen – nur ist seltsamerweise nicht das Pferd, sondern die Göttin geflügelt.
Am Rande der Becken räkeln sich stattliche Helden mit stolz geschwellter Brust und ansehnlich rundliche Schönheiten dienen den Schulkindern als Ablage für Rucksäcke und Vesperbrot und natürlich als perfekte Kulisse für Selfies, die sofort gepostet werden wollen: „Mensch ich hab‘ hier ja nich‘ mal LTE, wie soll das denn gehen?“, ruft eines der Mädchen entsetzt. „Da ist man einmal im Schulleben auf Klassenausflug und keiner kriegt’s mit – voll Schrott!“
Wir nehmen an einer Führung durch das bayerische Abbild von Versailles teil, staunen über Tonnen von Lüsterkristall, viele Quadratmeter Blattgold und Kopien der Schlachtengemälde aus dem Prunkbau von Ludwig XIV. bei Paris. Beeindruckend die Perfektion, mit welcher die Kunsthandwerker für 150 Jahren diese Prunkstücke gefertigt haben – aber wenig Eigenständiges, Originelles, alles nur geklaut – eigentlich schade.
Auf dem Rückweg zum Bootssteg gehen wir an der ehemaligen Pfarrkirche St. Maria vorbei, an deren Außenwand alte Grabsteine aus dem aufgelassenen Friedhof eingemauert sind.
Die Fraueninsel mit dem Nonnenkloster
Nach der Überfahrt zur Fraueninsel umrunden wir das Nonnenkloster vom Nordsteg aus im Uhrzeigersinn und genießen in einer der schattigen Gastwirtschaften ein kühles Blondes. Vor den Klostermauern haben die Nonnen eine kleine Blumenwiese angelegt, die in allen Farben blüht. Da sind neben tiefrotem Mohn, hellblauen Wegewarten, beige-weißen Küchenschellen, der leuchtend weiße Strahlenkranz der Margeriten und die dunkelblauen Kornblumen, neben vielen Blüten, die mir zwar bekannt vorkommen, aber deren Namen ich nicht kenne. Hier könnte ich den ganzen Tag im Gras sitzen, staunen und fotografieren. Aber da wartet noch das alte Torhaus aus der Zeit „Karl des Großen“ auf seine Besichtigung.
Der bayerische Herzog Tassilo ließ damals eine große befestigte Anlage mit einer kleinen Michaelskapelle erbauen, die durch ihre Lage mitten im Chiemsee gut vor Überfällen geschützt war. Der sechseckige Turm der Klosterkirche zeugt noch heute vom wehrhaften Charakter. Als ich die schwere, eisenbeschlagene Kirchentür öffne, an der eine bronzenen Fratze alles Böse abwehrt, betrete ich eine andere Welt.
Das Dämmerlicht und die andächtige Stille lassen das bunte Treiben der Besucher der Insel vergessen und machen Platz für Besinnung und innere Einkehr. Die vielen Votivtäfelchen an der Rückseite des Hauptaltars, gegenüber der Irmengard-Kapelle, zeugen von der langjährigen Verehrung, welche die Betenden der heiligen Äbtissin des Klosters entgegenbringen und den wundersamen Heilungen, die sie den Gläubigen angedeihen ließ. Hunderte kleine Kerzen tauchen ihren Altar in goldenes Flackerlicht, das im Dunkel des Chorumgangs eine magische Wirkung auf mich ausübt. Andächtig setze ich mich still in eine Bank und danke dem Herrn, dass ich immer noch gesund bin – wer weiß schon wann einem die Stunde schlägt?
Zurück im Trubel der Touristen, die den Klosterladen mit seine Standardsouvenirs und Devotionalien stürmen als gäbe es den Kram nicht überall, verfliegt die Nachdenklichkeit schnell wieder beim Warten auf das Boot in der warmen Nachmittagssonne, das uns nach Gstadt zurückbringen soll.