Von Cannobio nach Carmine Superiore

Wir sind von Cannero Rivera mit dem Bus gekommen und erst mal ins Café am Hafen, um die wunderbare Morgensonne bei einem Espresso zu begrüßen.

Schon auf unserem Weg die Via Umberto I. aufwärts wird uns bewusst, dass sich hier vor 800 Jahren eine stolze kleine Republik zwischen den Eidgenössischen Bünden im Norden, der mächtigen Lombardei im Osten und den expansionswütigen Mailändern im Süden behauptet hat.

Der „Parisi“ ist ein kleiner Palast mit Bogengang und einem endlos hohen, schmalen Turm, in dem das hohe Gericht, die „Banco di Giustizia“ seinen Sitz hatte und die Gesetze des hohen Rates umsetzte, die dieser im Stockwerk darüber im großen Saal erlies.

Unser Weg führt auf alten, ausgetretenen Pflastersteinen hoch oben am Hang nach Süden und bietet herrliche Aussicht auf die noch schneebedeckten Berge und Cannobio mit seinen blühenden Gärten. Vorbei an einigen Rustikos, die im Sommer auch an Gäste vermietet werden, passieren wir die renovierten Feldsteinhäuser von Molineggi. Kurz danach biegt unser Weg vom Hauptweg nach Viggione links ab und führt uns den Hang hinunter zu den Schützengräben und Bunkern der freien Repubblica dell’Ossola.

Im Herbst des Jahres 1944 hatten Partisanen im Nordosten Italiens eine befreite Zone ausgerufen, welche das Westufer des Lago Maggiore bis zur Schweizer Grenze umfasste. Cannobio selbst wurde jedoch bereits nach einer Woche von der deutschen Wehrmacht zurückerobert. Hier am Hang hatten sich die Partisanen jedoch tief in den Fels gegraben und verteidigten den Zugang zum südlich gelegeneren Cannero.

Nach einer halben Stunde sehen wir den Kirchturm der St. Gotthardkirche von Carmine Superiore zwischen den grünen Wipfeln der Bäume. Bereits um 975 hat das Geschlecht der Carmine aus Cannobio auf dem steilen Felssporn eine uneinnehmbare Schutzburg erbaut. Auf den Terrassen des Hanges wird noch heute vereinzelt Wein und Gemüse angebaut, auch wenn das meiste bereits seit langem vom Wald überwuchert ist. Im letzten Jahrhundert verließen immer mehr der Bergbauern ihre uralten Hütten um ihr Glück in der Fremde zu suchen. Erst der Aufkauf einiger alter Häuser durch neu Zugezogene, die den steilen Fußweg nicht scheuen, um in ihr Ferienhaus zu gelangen, konnte den Verfall stoppen.

Die Abgeschiedenheit des kleinen Ortes und der Geldmangel seiner Einwohner haben dazu beigetragen, dass die 700 Jahre alten Fresken in der romanischen Kirche unverfälscht erhalten geblieben sind (die Beleuchtung hat bei unserem Besuch leider nicht funktioniert, der Euro ist aber dennoch gut angelegt).

An der äußeren Südwand ist der Besuch der heiligen drei Könige dargestellt, mit denen 1164 Erzbischof Rainald von Dassel auf seinem Weg von Mailand nach Köln hier vorbeikam. Die drei heiligen Könige nicht mehr persönlich, sondern ihre sterblichen Überreste sorgsam verpackt.

Die Kirche wurde erst etwa 200 Jahre nach diesem Ereignis erbaut und ersetzte vermutlich ein für die wachsende Einwohnerzahl zu klein gewordene Burgkapelle. Carmine Superiore lag ein einer der wichtigen Alpenrouten von Mailand über den Sankt Gotthard in die Schweiz und dann weiter bis Basel, um mit dem Boot auf dem Rhein nach Köln und Aachen zu fahren.

Auf unserem weiteren Weg überqueren wir den bewaldeten Berg und sehen Cannero schon in der Ferne liegen. Auf einer Sonnenterasse überwältigt uns das Blütenmehr von riesigen Rhododendren und Kamelien, die mit blühenden Rosen dazwischen ein Paradies auf Erden sind. So schön ist der Frühling am Lago Maggiore!