Von weithin sichtbar tront der Staffelstein über dem oberen Maintal, flankiert von der Wallfahrtskirche Vierzehnheiligen im Osten und den Zwillingstürmen von Kloster Banz im Westen – eine goldene Pforte, gleichgültig ob man von Bamberg oder so wie wir von Lichtenfels kommt.
Die Jakobskapelle in Lichtenfels
Ein Stück den Jakobsweg gehen bedeutet die Sorgen und Nöte des Alltags hinter sich zu lassen, auf Frieden und Harmonie mit sich und seinen Nächsten zuzugehen. Mit jedem Schritt wird das Lästige weniger wichtig, das Ärgerliche harmloser und manches sogar lächerlich oder zumindest unwichtig. Was das mit dem heiligen Jakobus dem Älteren, einem der Donnersöhne des Messias zu tun hat?
Nichts, überhaupt nichts! Auch nicht mit dem Weg nach Santiago de Compostela! Eher mit der Gewissheit, dass ich nicht nur einen Sonntagsausflug mache, sondern mich mit einem guten Freund und Gleichgesinnten auf ein kleines Abenteuer einlasse, bei dem wir beide nicht so genau wissen, welche Überraschungen der nächste Tag für uns bereit hält.
Die erste offensichtlich schon hier in der Jakobskapelle in Lichtenfels, vor der wir unser „Antrittsfoto“ machen. Welcher ist eigentlich der Jakobus bei den vielen Heiligen? Links und rechts des Altars Petrus und Paulus, rechts an der Wand als Fresko der heilige Christopherus. Ich gehe auf die Knie (in einer Kapelle sowieso gelegentlich angebracht) um das Deckenbild zu inspizieren – da ist ja unser St. Jakobus bei seiner letzten Taufe, bei der er auf dem Weg zu seiner Hinrichtung (der Henker mit dem Schwert wartet schon auf ihn) noch einen Gichtkranken am Wegrand von seinem Leiden erlöst.
Auch gut – wir wollen uns ja auf die Suche machen! Wäre auch komisch, schon nach ein paar hundert Metern fündig zu werden. Den langweiligen Fußmarsch entlang der Bamberger Straße nutze ich, um neue Batterien für das GPS-Gerät meiner Kamera zu kaufen. So erfahre ich, dass Tankstellen auch für Wanderer einen wichtigen Beitrag leisten können.
Vierzehnheiligen
Kurz ehe wir am Waldrand zur Kirche hochwandern, ist an einem Baum ein kleines Bildnis mit einem Knaben in der Mitte, der ein weißes Gewand mit einem roten Kreuz trägt und vierzehn Kindern, die ihn im Kreis umgeben: Die Legende vom Jesuskind mit den vierzehn Nothelfern, die der Hirtenjunge vor fünfhundert Jahren beim Schafe hüten auf der Wiese gesehen haben will und die wollten, dass dort eine Kapelle erbaut werden sollte, in der jedermann sie anrufen könne – so etwas wie eine frühe Version einer Notfallzentrale mit Direktverbindung.
Von außen unterscheidet sich die ockerfarbene Basilika nur durch die gewölbte Fassade am Hauptportal von anderen Barockkirchen, abgesehen von der unvergleichlichen Lage hoch über dem Maintal und dem Blick über die Haßberge bin hin zum Thüringer Wald. Aber kaum tritt man durch das Seitenportal und geht ein paar Schritte, steht man atemlos mitten im Geviert der Kreuzkuppel. Die zarten Farben der Freskos, die mäandernden Muster der Säulen in zurückhaltendem Kunstmarmor und dann der Rokokoaltar mit den vierzehn Heiligen zentral im Oval des Langschiffs, der direkt über die Erscheinungsstelle und den Resten der alten Kapelle errichtet wurde. Wie eine lichte Krone schwingen sich die Ranken in die Höhe, um sich über der Grotte zu vereinigen und geben doch von überall den Blick auf den Hauptaltar frei. Die Nothelfer mit ihren Attributen wirken eher wie eine anheimelnde Sammlung von männlichen Weißen und durchaus weiblichen Grazien, als Märtyrer, die in Not und Pein für ihren Glauben gestorben sind:
Wir sitzen gedankenverloren mit unseren Rucksäcken in einer Bank und dunkle Bilder aus dem Alltag lösen sich auf und lichte, fröhliche Erinnerungen geben uns Zuversicht, nicht nur hier sondern überall von wunderbaren Mächten geborgen zu sein.
Geistig erfrischt, erkennen wir, dass gegenüber dem Hauptportal der „Goldene Hirsch“ ausgezeichnete Pfifferlinge mit Salat oder Semmelknödel und dazu Holunderschorle für den Körper bereithält. Da können wir nicht widerstehen.
Menosgada, die Keltenstadt auf dem Staffelberg
Am äußeren Wall von Menosgada (ausführliche Dokumentation im Archiv), der uralten Keltensiedlung angekommen, überraschen uns der Duft und die schier unendliche Vielfalt eines riesigen Blumenteppichs.
Ehemalige, landwirtschaftliche Nutzflächen wurden mit Sonnenblumen, Fuchsschwanz, Ringelblumen, Bohnenkraut und vielen anderen Sorten angesät, die ich gar nicht kenne. Das kunterbunte Blütenmeer ist ein Paradies für die Bienen, deren Stöcke vom Regen geschützt hinten am Waldrand unter großen Buchen stehen. Wir können uns kaum sattsehen und entdecken immer wieder neue Blumen, die wir staunend bewundern und natürlich fotografieren.
Nach einem kurzen letzten Anstieg winken uns die Tische und Bänke der Staffelbergklause, die seltsamerweise nur spärlich besetzt sind – Dienstag Ruhetag! Gönne ich dem Wirt, ist trotzdem schlecht für uns, aber noch ärgerlicher ist, dass die St. Adelgundiskapelle auch verschlossen ist.
Da tröstet es uns nur wenig, dass es dereinst dem Dichter Victor von Scheffel genauso ergangen ist, wie er im Frankenlied singt:
Einsiedelmann ist nicht zu Haus’,
dieweil es Zeit zu mähen.
Ich seh’ ihn an der Halde drauß’
bei einer Schnitt’rin stehen.
Verfahr’ner Schüler Stoßgebet heißt:
Herr, gib uns zu trinken!
Doch wer bei schöner Schnitt’rin steht,
dem mag man lange winken!
Also stapfen wir an der alten Festungsmauer der Keltenburg entlang Richtung Gipfel, packen Wasserflasche und Äpfel aus, genießen die fantastische Fernsicht auf die fränkische Landschaft, die uns zu Füßen liegt und singen:
Zum heil’gen Veit von Staffelstein
komm ich empor gestiegen,
und seh’ die Lande um den Main
zu meinen Füßen liegen.
Von Bamberg bis zum Grabfeldgau
umrahmen Berg und Hügel
die breite Strom durchglänzte Au.
Ich wollt’, mir wüchsen Flügel!
Flügel scheinen dem Paar, das leichtsinnig unter dem Gipfelfelsen auf einem schmalen Sims rastet aber nicht gewachsen zu sein, auch wenn sie das glauben. Ob die wissen, welche Angst sie ihren Eltern machen und welch‘ schlechtes Vorbild sie da abgeben?
Wir gehen Kopf schüttelnd den zuerst ziemlich steilen Pfad nach Loffeld hinab und rasten ein letztes Mal auf einer Bank mit einem herrlichen Blick auf den Ansberg gegenüber, einem keltischen Kultplatz, dessen St. Veit Kapelle von einem wunderbaren Kranz aus alten Lindenbäumen umgeben ist. Da hat unser Victor wohl in seinem Gedicht die Kapellen auf den benachbarten Bergen vertauscht. Macht nichts – sind beide wunderschön!
Wir wandern die letzten Schritte nach Loffeld und freuen uns auf eine Dusche und ein fränkisches Bier vom Staffelberg Bräu im Bräustübl, wo wir heute praktischerweise auch übernachten. Morgen ist auch noch ein Wandertag!